Das weiß nicht nur der Sportler: Verkürzungen des Muskels schränken den Spielraum ein. Die Effektivität schrumpft, die negativen Folgen machen sich bemerkbar. Eine Hauptabsicht aller Dehnarbeit ist, den Muskel wieder lang zu ziehen. Unser Bewegungsradius wächst und die Durchblutung wird gefördert. Der Muskel ist voll funktionsfähig. David nennt nun eine besondere Form von Dehnarbeit Gottes. Sie steht gegen Verkürzungen aller Art und das Zu-kurz-Kommen:

„Er führte mich hinaus ins Weite, er riss mich heraus; denn er hatte Lust zu mir.“ 2. Samuel 22, 20

Im Danklied am Ende seines Lebens fasst David zusammen, was ihn zeit seines Lebens bewegte: „…aber der Herr ward mein Halt“ (2. Samuel 22, 19b). Er spricht von Feinden und Hassern, die ihn dann überrennen wollten, als es ihm schlecht ging: „…zur Zeit meines Unglücks …“ (2. Samuel 22, 19a). Aus solchen Lagen riss ihn Gott ins Weite hinaus – und die Begründung? „Denn er hatte Lust zu mir.“ Dies ist bestimmt eines der merkwürdigsten Worte im Alten Testament. Sie spricht ein Mensch aus, der Gottes Liebeserklärung zu ihm erkannt hat, genau wie Johannes es Jahrhunderte später in seinem Brief beschreibt: „Das Einzigartige an dieser Liebe ist: Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns seine Liebe geschenkt“ (1. Johannes 4,10).

Hier wieder nach Abweichungen anzudocken, ist keine Frage eines langen Zeitraums. So wie der Jogger am Ende des Laufs in wenigen Minuten die nötigen Dehnungen gegen die Verkürzung seiner Beinmuskulatur „dranhängt“, wird es für heute positive Folgen haben, wenn du glaubst, dass Gott Freude an dir hat.

Es ist keine Überheblichkeit, dies anzunehmen – und zwar grundsätzlich. Sicher gibt es Dinge, von denen du sagst, sie können Gott nicht gefallen. Aber wer sich in seiner Gedankenwelt nur danach richtet, wird kaum ein fröhlicher Christ sein können. Der Tod Jesu ist doch auch darum erfolgt, dass wir unsere Sünden loskriegen und jetzt, heute, zu einem neuen Leben auferweckt sind. An diesem ganzen Heilsgeschehen und an denen, die sich darauf einlassen, kann Gott nur Freude haben. Genau wie über einen „Sünder, der Buße tut“ (Lukas 15, 7a).

Ist es nicht schon unter Menschen ganz normal, dass Freude aufkommt, wenn wir merken, dass wir anderen eine Freude gemacht haben? Wer weiß, dass Gott Lust zu ihm hat, bei dem wächst die eigene Wertschätzung und gedeiht die so wichtige Selbstannahme. Wir sind geradezu darauf angelegt, geliebt zu werden. Es verleiht unserem Leben einen ganz tiefen Sinn.

Die Liebe Gottes ist wie eine Gießkanne, unter deren Wasserstrahlen Fröhlichkeit und Sorglosigkeit wachsen und die Oberhand behalten wollen. Aber auch die Kreativität und das Wollen, eine Sache neu oder wiederholt anzupacken, machen sich neu auf die Reise. Wenn du um diese Liebe Gottes nicht nur weißt, sondern sie heute auf dich wirken lässt, wird die Sinnfrage auch unter ganz widrigen Umständen wunderbar beantwortet. Es ist wie beim Dehnen: Es soll Gewohnheit werden und dauert nicht lange.

Helmfried Riecker

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