„Der ist für mich gestorben.“ – „Was die sich geleistet hat, kann ich ihr nie vergessen!“ – „Der ganze Verein taugt nichts“. – „Wie kann man solch ein wichtiges Spiel noch in letzter Minute verlieren!“ – „Der muss ´geschluckt` haben, anders ist die Leistungsexplosion nicht zu erklären.“ Gerichte sprechen ihr Urteil nach Gesetzesparagraphen; wir selbst tun es nach Laune, Gefühl und Vermutung. Unser Gerechtigkeitssinn steht oftmals auf dünnen Beinen und triftet schnell ins Unrecht.
„Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht wahrnimmst?“ Lukas 6, 41
Dabei meint dieser Satz von Jesus gar nicht, dass du etwas nicht beurteilen oder einen Missstand kritisieren dürftest. Aber wer sich bewusst ist, dass er selbst einen Balken im Auge haben könnte, ist bereits auf dem Weg zu einem gerechteren Urteil.
„Hätte ich in dieser Lage nicht ähnlich gehandelt?“ Schon wer sich in die Lage des anderen versetzt und sich um sachliche Information bemüht, gelangt zu einer ganz anderen Beurteilung. Wer vor der eigenen Tür kehrt, sieht klarer. Er weiß um den Schmutz, der auch bei ihm hinausgefegt werden muss. Das macht barmherzig. Und man möchte, dass auch der andere wieder auf einen guten Weg kommt.
Im weiteren Textverlauf ermahnt Jesus, erst den eigenen Balken zu entfernen und dann den Splitter aus dem Auge des anderen zu ziehen. Das heißt doch: Sich selbst richtig einschätzen und wo es sein kann, Hilfe anbieten. Aber erst auf gleicher Ebene kann man sich so begegnen, dass Hilfe auch angenommen wird.
Die Neigung, aus Wut, Enttäuschung und Empörung heraus zu verurteilen, bleibt groß. Lässt du sie weiterhin gewähren, fängt der kleine Splitter des anderen sogar an, dir selbst Schmerzen zu bereiten. Das, was du so schnell beurteilst, fällt auf dich zurück: Empörungen belasten unnötig das Nervenkostüm und die Psyche. Doch Jesus drückt aus, dass beide der Hilfe bedürfen. Die solltest du nicht ausschlagen, egal um was es sich gerade handelt.
Helmfried Riecker
