Bericht Jahrbuch 2016/2017

Ich stehe vor der Fläche. Ich zittere. Augen schließen. Dreimal hoch springen.
Auf Zehenspitzen stehen bleiben. Arme fest. Körper anspannen.
Hände am Handtuch abwischen. Die wichtigsten Elemente der Übung im Kopf
nochmal durchgehen. Beten. Freude. Pure Freude, als ich endlich
aufgerufen werde und auf die Fläche gehe. Freude und extreme Aufregung.
Kopf hoch. Gerade gehen. Nicht wackeln in der Anfangspose. Jetzt bin ich
voll da. Ich denke an nichts anderes, als an meine Übung. Die Musik geht
an. Ich starte. Konzentration. Gerät fangen. Ausdruck. Stehen beim
Stand. Gleichgewicht. Hoch springen. Gerät nicht verlieren. Flüssige
Bewegungen. Freude. Es macht riesigen Spaß. Nichts vergessen.
Weitermachen bei einem Fehler. Gut zu Ende turnen. Musik aus. Stopp.
Erleichterung. Danke Gott. Erschöpfung, aber ich hab es geschafft. Ich
habe gut durchgeturnt. Mein Bestes gegeben und meine Leistung abrufen
können. Alles Training hat sich gelohnt. Alle Schmerzen, aller Schweiß,
aller Fleiß, alle Freude, alle Tränen, alle Wut, alle Anstrengung, alle
Mühe, alle Geduld, alle Selbstbeherrschung, alle Zeit. Jetzt muss ich
nur noch auf die Bewertung der Kampfrichter warten. Nervenaufreibendes
Warten. 10,250 Punkte. Ganz gut für mich. Was hatten die anderen? Die
Konkurrenz? Und wer kommt noch? Warten. Hoffen. Und am
Ende…Erleichterung. Erstaunen. Unfassbar. Ich habe den dritten Platz
beim Deutschland-Cup 2016 im Finale mit dem Reifen belegt. Das hätte ich
nicht erwartet. Freude. Pure Freude. Dankgebet.

Ich mache Rhythmische Sportgymnastik. Eine Randsportart in Deutschland,
die oft unterschätzt wird. Bei uns gibt es fünf Geräte – Ball, Seil,
Reifen, Keulen und Band. In jüngeren Jahren wird auch noch eine Übung
ohne Handgerät geturnt. Wenn du etwas erreichen willst, musst du früh
anfangen. Ich war fünf, als ich begann. Mittlerweile trainiere ich 3 bis
4 Mal in der Woche und gehe zusätzlich in einer Tanzschule Jazz und
Ballett tanzen. In meiner Sportart wird viel Disziplin benötigt, weil du
dich selber immer wieder motivieren musst, weiter zu trainieren,
weiterzumachen.
Es wird Einzel und in der Gruppe (zu fünft) geturnt. Beim Einzel bin
ich ganz auf mich alleine gestellt und muss auf meine eigene Leistung
vertrauen. Alle Augen sind auf mich gerichtet, während ich auf der
Fläche bin. In der Gruppe ist Teamwork und Vertrauen den anderen
gegenüber gefragt. Beide Disziplinen sind sehr schön zu turnen.
Durch all den Stress, die viele Zeit und die viele Arbeit, die ich in
diese Sportart wöchentlich investiere, frage ich manchmal, wozu ich das
alles eigentlich mache?! Die Antwort darauf ist ziemlich simpel. Ich
liebe meine Sportart. Sie fordert Mut, Fleiß, Eleganz, Koordination,
Beweglichkeit, Teamwork, Takt- und Rhythmusgefühl, Spannung,
Selbstdisziplin, Leichtigkeit und noch so vieles mehr. Sie ist
wunderschön, es macht mir nach 12 Jahren immer noch riesigen Spaß und
sie ist trotz aller Anstrengung ein so großer Teil in meinem Leben, dass
ich mir nicht mehr vorstellen kann, ohne sie zu leben. Genau deswegen
habe ich mir vorgenommen, so lange wie möglich  weiterzumachen, trotz
Abi. Und auch wenn Niederlagen kommen, nicht
aufzugeben. Wenn ich dann aufhöre, werde ich diese Sportart, alles
Training, alle Freude und alle Freunde und alles was daran hängt, für immer in meinem
Herzen behalten.  Ich bin Gott und allen Menschen, die mich auf meinem
sportlichen Weg begleitet haben, so unendlich dankbar und ich bin froh,
dass mich das Training durch alle Tiefen hindurchgetragen hat. Es ist
ein Privileg, dass ich so reich beschenkt wurde durch den Sport.

Ich hoffe ihr konntet einen kleinen Einblick in mein sportliches Leben
bekommen. Danke fürs Lesen.

Marina Ruf

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